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2. Leseprobe



Aus: “Sprung ins Dritte Jahrtausend – Trilogie – Annys Mission und Angels Vermächtnis.”

Fussnoten

1 Erste Lunare Kraterstadt

12 H eadquarter-system of central-guided C omputer-network

13 P ersonally E ditable V irtualizing A rmband C ommunicator

62 Med izinische Einrichtung, kleines Schiffslazarett und OP

79 O hne B efund

80 Temperatursprungschicht – Wasserschicht, die warmes Oberflächenwasser von kaltem Tiefenwasser trennt.

81 K ampf R aum G leiter T räger

Seitenauswahl: 77 | 78 | 79 | 80 | 81 | 82 | 83 | 84 | 85 | 86 | 87

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Anny wurde langsam unruhig. Sie fuhren jetzt schon eine ganze Weile und im Holografen zeigte sich kein Waka. Deshalb fragte sie in den Raum hinein: „Wie weit sind wir jetzt eigentlich schon so getaucht gefahren?“
„Das sind schon ein paar Meilen“, meinte Justinian. „Aber noch keine zwanzigtausend – Apropos, wollen wir nicht diesem Familienkleinod einen individuellen Namen geben? Die offizielle Bezeichnung ist immer so sperrig.“
„Gute Idee“, sagte dazu Nila. „Nun, Tante Anny, wir sind jetzt einhundert und einundzwanzig Seemeilen seit dem Abtauchen gefahren, um es genau zu sagen. Und Papa – da Du gerade so schön Jules Verne erwähntest – wie wäre es mit Nautilus?“
Nautilus klingt toll – das ist ein schöner Name, der Angel auch gefallen wird“, antwortete Anny. „Wenn wir noch lange weiterfahren, wird nämlich bald das Atoll am Horizont sichtbar sein und dann…“
Sie unterbrach sich, da sie im Holografen etwas verdächtiges am Horizont wahrgenommen hatte und dann fragte sie: „Nila, hast Du ein Signal von N.-K.‘s PEVAC 13 ?“
„Kein Peilsignal“, kam prompt die Antwort. „Aber vielleicht könnte man auch versuchen, das Positionssignal zu bekommen. Das ist eigentlich nur für die Nutzung in Einrichtungen und Raumfahrzeugen gedacht…“
Nila ließ ihre Finger über die Sensorik der Konsole gleiten. Und dann rief sie aus: „Ja – da ist er! Zirka drei Meilen direkt voraus – sie scheint ihn dann nicht zu tragen, oder … Es ist jedenfalls nur der normale Kontrollimpuls, ohne Vitalwerte.“
„Das heißt, das Segel, was ich hier am Horizont erkennen kann, ist das ihres Wakas“, stellte Anny fest.
„Das wird es sein“, stimmte Justinian zu.
„Gut, dann bleiben wir auf Kurs und nähern uns vorsichtig, bis man mehr Details wahrnehmen kann“, befahl Anny.
„Aye, Aye – Kapitän Nemo“, bestätigte – augenzwinkernd – Justinian.
„Kapitän Nemo“, fragte mit einem Anflug von Verständnislosigkeit Anny und setzte dann aber gleich selbst die Antwort: „Ach – ich verstehe – da das hier jetzt die Nautilus ist, muss ich als Befehlsgeber automatisch Kapitän Nemo sein…“
Nach zirka 10 Minuten ließen sich immer mehr Details des Waka im Hauptholografen erkennen.

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„Ich sehe sie“, rief Nila aus. „Sie liegt auf dem Deck über den Rümpfen.“
Man konnte wirklich deutlich Nila-Kates ausgestreckte Gestalt dort liegen sehen.
„Okay – Justinian – fahre die Notluftschleuse aus und manövriere uns so dicht wie möglich an das Waka“, wies Anny an.
Dann schaute sie konzentriert in den Holografen, um irgend welche Anzeichen von Leben bei der Liegenden zu entdecken.
„Hah“, sagte sie plötzlich. „Entwarnung – sie atmet – es ist deutlich zu sehen.“
Nila legte die linke Hand auf ihre Brust und sank ein wenig in ihren Sessel zurück. Ihr Vater legte ihr eine Hand auf ihren Oberarm und fragte in Richtung Anny: „Wie machen wir das jetzt? Es wäre doch schade um ihr Waka und wir wissen nicht, ob sie bewusstlos ist, weil sie sich den Kopf stieß oder nur tief schläft.“
„Es wäre einfach, wenn wir einen Erdbeobachtungssatelliten anzapfen könnten“, warf Nila ein, die inzwischen wieder aufrecht saß. „Die werden jedoch pausenlos überwacht und dann fliegen wir auf.“
„Du meinst, das wir uns einen Überblick verschaffen könnten, ob wir unentdeckt auftauchen können“, stellte Justinian fest.
„Das ist eine hervorragende Idee“, bemerkte begeistert Anny und begann die Dateien der Datenbank des HC 12 durchzusehen, während sie weiter sprach: „Vater hatte mehrere Flugdrohnen gebaut, die Vögeln sehr ähnlich sehen. Wenn davon noch eine an Bord war, als wir von der Materia starteten, müsste sie hier verzeichnet sein – ja!“
Sie drehte sich zur Cockpittür um, wo Boy auf Anweisungen wartete und sagte: „Boy – im hinteren Laderaum befindet sich eine Kiste mit der Aufschrift Trabol. Bitte bringe diese Kiste in den Niedergang unter der Notluftschleuse.“
„Aye, Aye – Mistress Anny“, sagte der Roboter und verließ das Cockpit.
„Wieso Trabol“, fragte Nila. „Eine solche technische Bezeichnung ist mir nicht geläufig für Flugdrohnen.“
„Das ist das Äquivalent unseres irdischen Albatros auf der Materia“, mischte sich Justinian ein.
Anny schaute ihn fragend an.
„Was ist“, entgegnete der. „Glaubt Du, dass mir Angel von euren

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Abenteuern auf der Materia nichts erzählt hat? Ihr habt doch heimlich damit gespielt!“
Anny wurde rot und sagte: „Das stimmt – nur Leute, die auf der Materia damals mit dabei waren, kannten diesen Namen der Flugdrohne.Vater hat sie in den offiziellen Berichten als eine Flugdrohne in Vogelgestalt bezeichnet. Aber man muss ihn gesehen haben, um zu wissen, dass der Trabol dem Albatros ähnelt, deswegen habe ich dich so angesehen. Du hast doch bestimmt die Kiste samt Inhalt gesehen!“
Jetzt wurde Justinian rot. Dann sagte er bestimmt: „Und das war gut so. Denn dadurch ist das Gerät jetzt sofort einsatzbereit. Weil ich es in Stand gesetzt habe.“
Wiederum gab es einen merkwürdigen Blick von Anny zu Justinian.
Dann fragte sie: „Hast Du dafür gesorgt, das verschiedene Leute gestern über dem Naturpark von Lunapolis 1 einen Albatros seine Kreise geglaubt haben ziehen zu sehen?“
Justinian versuchte Annys Blick standzuhalten, doch das schaffte er nicht.
Schuld bewusst senkte er den Kopf.
„Aber Papa“, entfuhr es Nila.
Ehe Anny einen Kommentar abgeben konnte, öffnete sich die Cockpittür, Boy rollte herein und meldete: „Auftrag ausgeführt, Mistress Anny.“
„Danke, Boy“, antwortete sie und wies dann an: „Voller Stopp und Position halten. Und da Du das Ding schon ausprobiert hast, darfst Du es auch aus der Notluftschleuse starten lassen, Justinian!“
Wortlos führte dieser die notwendigen Handlungen aus, um den Gleiter automatisch auf Position zu halten, dann verließ er das Cockpit und meldete sich wenig später aus der Notluftschleuse: „Trabol bereit. Nila, Du kannst ihn verlinken.“
Nila bediente die Sensorik und meldete: „Trabol verlinkt – lass ihn fliegen, Papa!“
Im Holografen sah man nun die Luke der Notluftschleuse aufgehen und Justinians Hand hob die Flugdrohne hinaus. Dann warf er sie leicht in die Höhe. Mit leichten Flügelschlägen – mehr gleitend, als fliegend – löste sich diese und glitt knapp über den Wellen dahin, langsam an Höhe gewinnend.
Bald war sie ausreichend hoch für eine große Übersicht.

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Anny rief diese auf und alles im Umkreis von 50 Seemeilen wurde erkennbar. Das Atoll lag zirka 15 Seemeilen entfernt und man konnte noch 15 Seemeilen dahinter eine Ansammlung von Objekten erkennen, die sich beim Zoomen als polynesische Wakas herausstellten.
„So, wie es aussieht, können wir wohl gefahrlos auftauchen“, meinte Nila, die mit in den Holografen starrte.
Justinian – der längst wieder in seinem Sessel saß – fragte: „Neue Befehle, Frau Kaleu?“
„Auftauchen und das Waka samt N.-K. an Bord holen“, sagte Anny lächelnd.
„Aye, Aye“, sagte Justinian grinsend und ließ den Gleiter an die Oberfläche steigen.
„Okay“, sagte Nila da. „Über der Oberfläche reichen unsere normalen Sensoren für die Beobachtung – ich hole den Trabol runter.“
Da keinerlei Widerspruch folgte, tat sie das auch.
„Gut so“, meinte Anny – als sie an der Oberfläche waren – zu Justinian. „Du manövrierst uns jetzt vorsichtig ran und Boy, Nila und ich holen das Waka rein.“
Anny stand auf und verließ das Cockpit. Nila und Boy folgten ihr. Sie stiegen hinunter zur Med-Einrichtung 62 – wo Anny schon gleich einige Vorbereitungen für eine mögliche Behandlung traf – und alle gingen dann in die zentrale Luftschleuse.
„Wir werden die Masten erst umlegen müssen“, sagte plötzlich Nila. „Die sind zu hoch.“
„Das werden wir dann machen, wenn Boy das Ding auf die Rampe gezogen hat“, gab Anny zurück.
Dann öffnete sich langsam die äußere Schleusentür und sie sahen neben der ausgefahrenen Rampe Nila-Kates Waka schwimmen. Dank der Antigrav-Kissen hielt sich der Gleiter in ruhiger Lage, so dass Boy ohne Mühen das Waka erreichen und zum Großteil auf die Rampe ziehen konnte. Sofort sprang Anny hinauf und kletterte zu Nila-Kate. Sie überprüfte deren Vitalwerte.
„Puls, Atmung und Herzschlag sind okay“, sagte sie erleichtert „Vorsichtshalber sollten wir sie noch drauf liegen lassen, bis wir sie auf eine Trage hieven können.“
„Dann hilf mir mal mit dem anderen Mast jetzt“, verlangte Nila. „Es ist nur ein Knoten am Mastfuß, dessen eines Ende Du durch Ziehen nach außen lösen kannst.“

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Anny kletterte zum Mast und tat sich etwas schwer das Seilende zu finden.
Als Nila mit ihrem schon fertig war und sich daran machte, Anny zu helfen, fand sie endlich das richtige Ende und zog. Der Mast ließ sich lösen und umlegen. Dabei fand sie Nila-Kates Tropenhelm und hielt ihn hoch.
„Wirf her“, sagte Nila und Anny warf.
Nila fing ihn geschickt auf und stellte sofort fest, dass der PEVAC sich noch darin befand. Deshalb sagte sie: „Sie hat es nicht geschafft, den PEVAC herauszunehmen. Sie muss sehr eilig gehabt haben. Aber gut – Boy: ziehe uns weiter rauf, aber lasse noch Platz für die Trage in der Schleuse.“
Boy bediente den Seilzug mit dem er das Waka auf die Rampe gezogen hatte und zog es fast zur Gänze in die Schleuse hinein.
„Boy, hole bitte jetzt die Trage“, befahl ihm Anny.
Boy verschwand in Richtung Med-Einrichtung.
„Schau mal“, sagte Nila zu Anny. „N.-K.‘s Hände sind voller Brandblasen – die Ärmste muss mit aller Kraft durch die Brandung gepaddelt sein.“
„Ja, stimmt“, antwortete Anny. „Und ihre Lippen sind trocken und rissig. Wahrscheinlich ist sie nur total erschöpft und dehydriert – das werden wir gleich feststellen.“
Boy war wieder mit der Rolltrage in der Schleuse. Er löste die Trage vom Rollgestell und schob sie zu Anny und Nila auf das Deck des Waka. Diese positionierten die Trage so, dass sie ganz leicht und langsam unter Nila-Kates Körper – von den Beinen zum Kopf hin – geschoben werden konnte. Nach dem dieser fixiert war, gab Anny das Zeichen an Boy, das er die Trage übernehmen könne. Dieser zog die Trage nun ganz behutsam vom Deck auf das Rollgestell – unterstützt von Anny und Nila – und rollte das ganze dann zur Med-Einrichtung. Nila und Anny sprangen vom Waka und eilten Boy hinterher. Als sie dort eintrafen sahen sie noch, wie das Rollgestell im Boden am Sockel des Behandlungstisches – dessen Oberteil im Grunde die Trage war – verschwinden.
„Gehen wir, also, erst mal auf Nummer sicher. Computer: Totalscan des Patienten Nila-Kate Jend-Choykrune, weiblich, Alter 22 und Ergebnisse im Holografen zeigen.“
„Wie geht es denn unserer Maori-Prinzessin“, ließ sich da plötzlich Justinian über das Bordnetz vernehmen. „Entschuldigt, aber

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ich wollte nichts verpassen, deswegen habe ich mich zu geschaltet.“ „Das werden wir wissen, wenn der Scan abgeschlossen ist“, antwortete Anny. „So – fertig. Alles klar – nichts gebrochen, keine inneren Verletzungen. Vegetatives Nervensystem o.B. 79 – nun, die Laktatwerte und der Blutdruck sprechen eine eindeutige Sprache. Sie leidet an den einem nicht-letalen Erschöpfungssyndrom.“ „Und das heißt für uns Laien“, fragte Justinian. „Papa – sie ist über alle physischen Grenzen gegangen – zu großer Energieverbrauch, nichts gegessen und getrunken, das heißt es“, antwortete Nila und verdrehte dabei die Augen. „Deshalb die tiefe Bewusstlosigkeit. Der Körper schützt so das Gehirn vor Schäden“, ergänzte Anny. „Computer: die Patientin bekommt fünfhundert Milliliter Ringerlösung und zweihundertfünfzig Milliliter und Glucoselösung intravenös.“ Man sah Boy beginnen, die verschiedenen Utensilien für die Infusionen zusammen zu tragen. Er erfüllte – mangels einer Robotschwester – die Schwesterndienste in der Med-Einrichtung. Dann legte er rasch die Infusionen an und ging wieder in Wartestellung. „Sollten wir nicht langsam uns auf den Weg nach Lunapolis machen“, meinte Nila. „Wo wir sowieso schon an der Oberfläche sind.“ „Wenn ich die Schleuse zu bekäme, gerne“, antwortete Justinian. „Mit dem Waka, das noch auf die Rampe ragt, wird das nichts.“ „Boy, Nila – ihr kümmert euch darum, dass es in den Laderaum kommt“, sagte Anny. Die Angesprochenen verließen die Med-Einrichtung zur Luftschleuse hin. Annys Aufmerksamkeit galt inzwischen voll ihrer Patientin. „Die Schleuse hab ich geschlossen“, meldete Justinian. „Nun kommt aber ein neues Problem auf uns zu. Vom Norden her nähern sich schnell einige Schiffe mit zirka fünfundzwanzig Knoten Fahrt. Und sie sind noch zirka dreißig Seemeilen entfernt.“ „Zeige die mal bitte im Holografen hier unten, Papa“, bat Nila, die gerade wieder in die Med-Einrichtung kam.

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Als dann die Schiffe mit ihren Details im Holografen genau zu erkennen waren, sagte sie: „Das sind japanische Walfänger. Seit die Bestände wieder bejagt werden dürfen, suchen sie die Wanderrouten, die durch dieses Gebiet gehen, nach Walen ab.“
„Dann aktiviere sofort den Tarnmodus“, meinte Anny. „Und möglichst gleich danach starten“
„Tarnmodus ist derzeit nicht möglich“, gab Justinian zurück. „Wir berühren noch die Meeresoberfläche und wenn wir zuerst versuchen Höhe zu erreichen, werden die unseren ungetarnten Raumgleiter sofort auf ihren Ortungsgeräten haben“
Anny befahl: „Sofort tauchen!“
„Gute Lösung“, bemerkte Nila dazu. „Schall geben wir bei der Tauchfahrt genauso wenig ab, wie die Fische beim Schwimmen. So würden sie uns erst mit aktiver Schallortung bemerken, dazu müssten sie uns aber erst einmal einholen.“
„Richtig“, bestätigte Justinian. „Wir sind jetzt unter Wasser und ich tauche unter die Sprungschicht 80. Ich empfehle so schnell wie möglich zu unserem ursprünglichen Eintauchpunkt zu fahren und von dort nach Lunapolis zu starten.“
„Mach es so, Justinian“, befahl Anny.
Einige Zeit verging – gute 10 Minuten – ohne dass jemand sprach. Nur Boy kehrte in der Zwischenzeit aus dem Laderaum zurück und wartete dann auch stumm.
„Die Werte von N.-K. sind nun eigentlich im normalen Bereich – ich verstehe jetzt gar nicht, warum sie nicht aufwacht“, erklärten Anny ganz plötzlich.
„Vielleicht bedarf es dazu noch eines starken Reizes“, gab Nila zu bedenken. „Früher wurde doch oft Riechsalz oder leichte Schläge eingesetzt, um jemanden aus der Ohnmacht zu holen.“
„Ich werde meine Patienten auf gar einen Fall prügeln“, protestierte Anny. „Und keinen gefährlichen Ausgasungen irgend eines Stoffes aussetzen!“
„Ich hörte mal, das man in der Bewusstlosigkeit trotzdem alles hören kann“, mischte sich Justinian ein.
„Das stimmt“, antwortete Anny. „Das Gehirn registriert auch in diesem Zustand alle Impulse der Gehörnerven. Nur wird das gefiltert und solange die Geräuschkulisse keine Gefahr signalisiert, kann das Hörzentrum keinen Impuls anstoßen.“

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„Dann schlagen wir einfach Krach“, schlug Nila vor.
„Oder“, warf Justinian dazwischen. „Wir spielen laute Musik. Das ist für die Ohren der Anwesenden angenehmer, denke ich.“
„Solange es keine klassischen Orchesterwerke sind, könnte das wirken – probieren wir es aus. Du hast doch sicher schon etwas in petto, Justinian, oder irre ich mich?“
„Gut geraten, Anny“, meinte lächelnd Justinian – das Bordnetz funktionierte über normale Holofonie – und sagte dann: „Nun kommt etwas Berührendes, etwas in einer für euch unvertrauten Sprache.“
Musik fing an zu spielen. Einen einzelnen Ton eines Synthesizer. Dann kam ein zusätzliches Geräusch.
Nila fragte: „Ein Schallecho-Ortungssignal?“
„Pst, warte“, antwortete hastig Justinian.
„Ich geh mit dir wohin Du willst“, begann eine Frauenstimme zu singen. „Auch bis an Ende dieser Welt. Am Meer, am Strand, wo Sonne scheint, will ich mit dir alleine sein.“
Ein dreifach klatschendes Geräusch kam plötzlich zu den Grundtönen und Nila-Kate schien ein wenig darauf zu reagieren.
Der Gesang ging weiter: „Komm geh mit mir den Leuchtturm rauf, wir könn die Welt von oben sehn. Ein U-Boot holt uns dann hier raus und und Du bist der Kapitän.“
„Ein Wort klang eben ginoisch“, sagte Anny plötzlich. Und wenn es das gleiche bedeutet, befinden wir uns in der Tat gerade an Bord eines U-Boots.“
Inzwischen waren Gitarren zu dem Klatschen und den Grundtönen kommen, und mit Einsetzen des Schlagzeugs, ging der Text weiter: „Gehn wir an Bord und fahren mit. Ich tauch den Fischen hinterher. Mach alle Türen zu und los! Vertreiben wir uns die Zeit im Meer.“
Anny fragte: „Welche Sprache ist das?“
„Ich glaube, Deutsch“, meinte Nila und ehe sie zu einer Erklärung ihrer Vermutung kommen konnte, wurde sie unterbrochen.
„Ganz genau, Oma“, sagte nämlich Nila-Kate plötzlich laut. Sie war inzwischen – unbemerkt von den anderen – erwacht.
„Es ist Deutsch. Das sprechen Vater und“, sie machte das Knurren eines Hundes nach. „Seine Mutter, Kate Solf. Die Sprache ihrer Vorfahren, wie sie sagten.“

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Freudig griffen Nila und Anny die Hände von Nila-Kate, während Justinian bemerkte: „O-Oh – das scheint Böses Blut gegeben zu haben!“
„Ich erzähle gleich – hören wir erst noch das Lied zu Ende“, antwortete Nila-Kate ihm.
Der Gesang wechselte gerade von einem vokalen Laut zum Text zurück: „Heh, halt dich fest, das U-Boot taucht. Gleich wird die Sonne untergehen. Ich glaub, wir sind schon ziemlich weit – ich kann den Leuchtturm nicht mehr sehn.“
Dann wurde noch einmal die erste Strophe wiederholt.
„Ein sehr schöner Text“, erklärte Nila-Kate, während die Sängerin nur noch den vokalen Ton bis zum Schluss wiederholte.
Anny fragte: „Worum geht es darin?“
„Etwas, was meine Situation mit euch hier ziemlich genau trifft: ich bin auch sehr froh, mit euch gerade meine Zeit in einem U-Boot im Meer zu verbringen und den Fischen hinterher zu tauchen. Ein U-Boot, das mich aus meinem Gefängnis herausgeholt hat“, antwortete Nila-Kate.
„Ein quietschgelbes U-Boot“, mischte sich Justinian erneut ein. „Dessen Kapitän unsere Nemo – äh – Anny ist. Du bist zwar an Bord gegangen worden, N.-K., und festzuhalten bei Tauchmanövern braucht sich hier auch niemand, aber statt abzutauchen werden wir bald auftauchen und dann kannst Du wieder die Welt von oben und die Sonne aufgehen sehen – und das auch ohne Leuchtturm.“
Nila zwinkerte mit einem Auge und fragte danach ihn: „Ich nehme an, Du hast das Lied dem Text nach passend ausgewählt, nicht Papa?“
„Dank meines Dienstes an Bord der Allprotektor KRGT 81 V – dessen erster Kommandant der deutsche Emil Fiftmann war – habe ich diese Sprache gelernt. Also, ja, Töchterlein – das habe ich in der Tat“, antwortete ihr Justinian. „Wir haben – um zum Ernst unserer Lage zurückzukommen – noch fast eine Stunde Fahrt bis zum Auftauchen und dem Rückflug vor uns. Flüssignahrung mag ja ganz gut sein, aber, ich denke, dass auch N.-K. gegen etwas Festes zwischen den Zähnen nichts einzuwenden hätte. Dann können wir alle von Angesicht zu Angesicht in der Messe N.-K.‘s Bericht lauschen und uns stärken.“

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„Sehr gute Idee. Mir knurrt schon fast der Magen“, meinte Nila dazu.
Anny stimmte nickend zu und wies an: „Dann – Boy – bereite etwas für uns alle zum Mittagessen…“
„Oder zum Abendessen“, unterbrach sie Nila-Kate.
„Wie jetzt“, fragte Anny und setzte dann fort: „Ach so, ja – GMT plus dreizehn – also, oder auch Abendessen und serviere es in der Messe. An alle anderen: in zehn Minuten treffen wir uns in der Messe. Ich muss N.-K. noch etwas zivilisationstauglicher machen, bevor wir dazukommen.“
In der Tat trug Nila-Kate noch ihre Insel-typische Bekleidung – nichts, außer einem Baströckchen.
Ganz normal gekleidet kam sie 10 Minuten später hinter Anny in die Messe, wo Justinian gerade seiner Tochter erklärte: „Emil grinste immer ganz anzüglich, wenn er dieses Lied hörte und meinte, dass er es auch gerne mal wieder am Strand treiben würde…“
Nila fragte ihn kopfschüttelnd: „Du meinst, es geht in diesem Lied – verklausuliert – um Sex am Strand?“
„Auf diese Idee kam er bestimmt bei der Vorstellung, dass deine Mutter – Nila – einen aufreizenden Anblick in einem solchen polynesischen Baströckchen abgeben würde“, meinte dazu – sich hinsetzend – Anny.
„Danke, Tante Anny, für die Bilder in Kopf“, reagierte entsetzt Nila. „Hoffentlich kriege ich die jemals da wieder raus.“
„Sex ist doch etwas völlig natürliches, für alle Menschen jeden Alters“, wandte da – nach dem sie sich ebenfalls gesetzt hatte – Nila-Kate ein. „Wobei man am Strand aufpassen muss, dass einem der Sand nicht den Spaß verdirbt.“
Die halb offenen Münder und runden Augen der anderen, signalisierten Nila-Kate, dass sie etwas völlig unerwartetes von sich gegeben hatte. Deshalb sagte sie: „Selbst ich weiß, dass in aller Welt Polynesier berühmt für ihre Freizügigkeit bei diesem Thema sind. Was habt ihr geglaubt – dass ich mit zweiundzwanzig Jahren darin etwa noch keine Erfahrungen gesammelt habe? Wisst ihr eigentlich, wie man sich sonst als Erwachsene dort Zeit vertreiben sollte?“
Um nicht länger Justinians – von einem verzückten Gesichtsausdruck begleitetes – und Nilas peinlich berührtes Schweigen ertragen zu müssen,

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wechselte Anny das Thema und fragte: „N.-K., nun Spanne uns nicht länger auf die Folter und erzähle von deiner abenteuerliche Flucht.“ „Görn“, antwortete diese mit vollem Mund.“Üch wüll nur schnöll noch ön poor Hoppen nöhmon.“ „Lass dir ruhig Zeit“, erwiderte Anny. „Wir brauchen noch über vier Stunden nach Lunapolis.“ Und während der Raumgleiter automatisch seinem Auftauchpunkt zu strebte, begann Nila-Kate – meist mit leeren Mund – das Mahl aller mit der genüsslichen Erzählung über die Details ihrer Flucht zu würzen. Der Rückflug – nach dem problemlosen Auftauchen später – verlief ereignislos. Glücklich in Lunapolis eingetroffen, konnte Nila-Kate dann endlich in ihr neues Leben starten.

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